Verkauft sich Tirol zu billig – ein TT-Bericht von Anita Heubacher, der auch in der Wildschönau zum Nachdenken führten sollte…
Innsbruck – „Wir lassen heuer erstmals vom 23. bis 26. Dezember zu, verzichten auf den Umsatz und schenken unseren Mitarbeitern Weihnachten“, sagt Irene Auer. Ihr Naturhotel in Längenfeld hat fünf Sterne, ist ganzjährig geöffnet und es hält den Preis. 185 Euro pro Person und Tag kostet das günstigste Zimmer samt Verwöhnpension.
Der Betrieb gilt als Leuchtturm-Projekt im Tiroler Tourismus. Qualität vor Quantität, 90 Prozent Auslastung und viel Engagement in der Mitarbeiterführung. Man setzt auf einheimisches Personal. „Die Einheimischen verdienen um 300 bis 400 Euro netto mehr als andere, weil sie keine Personalunterkunft brauchen“, sagt Auer. Alle 70 Mitarbeiter hat sie in Kurzarbeit geschickt und versucht, sie während der Krise zu halten. Nur zwei seien abgesprungen. Nach dem Ausfall der Wintersaison tut sich selbst dieser Vorzeigebetrieb schwer, alle Stellen nachzubesetzen. Weihnachten frei ist auch dem geschuldet.
Bereits vor der Pandemie blieb in Tirol so manche Küche kalt, weil die Köche fehlten. Der Fachkräftemangel beschäftigt die Branche schon lange. Jetzt hat er sich drastisch zugespitzt. Viele Betriebe müssen die Kapazitäten zurückfahren, weil das Personal fehlt. Die Mitarbeiter, die da sind, müssen die fehlenden oft kompensieren und brennen aus. Eine Negativspirale, die besonders tragisch ist, wo doch die Nachfrage nach Winterurlaub nach der Corona-Zwangspause da wäre.
„Wir müssen die Mitarbeiter besser bezahlen.“ Dieser Satz kommt nicht etwa von der Arbeiterkammer oder der Gewerkschaft, sondern aus der Wirtschaftskammer. ÖVP-Landtagsabgeordneter Mario Gerber ist dort so wie im Landesparlament Tourismussprecher. Die Branche müsse selbstkritisch sein und brauche sich nicht einzureden, dass 1700 Euro netto für einen Kellner mit 48 Wochenstunden viel seien, wo doch der Handel für 38,5 Stunden und geregelte Arbeitszeiten 1450 Euro netto im Monat bezahle. „Der Großteil in unserer Branche zahlt nicht gut“, stellt Gerber fest. Er ist selbst Hotelier, führt mehrere Betriebe, einen davon im Kühtai bei Innsbruck.
Bessere Gehälter müsste am Ende des Tages der Gast bezahlen. Verkauft sich Tirol also zu billig? Ja, sagen viele Experten, wie auch Andreas Braun. Der ehemalige Tirol-Werbung-Chef und Querdenker rät, nach Südtirol zu schauen. „Von unseren ultramontanen Landsleuten können wir viel lernen, was gastronomische Qualität, Landschaftspflege und Infrastruktur, siehe Radwege, anlangt.“ In Südtirol stimme der Preis und das Produkt, meint Braun und geht mit der Branche hart ins Gericht (siehe Interview).
Auch Gerber bejaht diese Frage. „Wir brauchen Mut zum Preis.“ Dabei zielt er nicht nur auf die Hotellerie, sondern auch auf die Gastronomie ab. „Solange wir Mittagsmenüs um 9,90 Euro servieren und den Espresso dazuschenken, geht sich das mit der Wertschöpfung nicht aus.“ Ohne Wertschöpfung keine besseren Gehälter. So einfach ist die Rechnung.
„Der Gast ist bereit, mehr als 4,50 Euro für ein Viertel Wein zu bezahlen, aber der Einheimische nicht“, sagt Gerber. Der Satz hat es in sich. Sind doch die Lebenshaltungskosten in Tirol ohnehin hoch. Den Grund dafür orten Kritiker eben in der Tourismuslastigkeit Tirols. „Fahren Sie an den Gardasee, nach Berlin oder New York, dort ist das Bier teurer, aber schlechter.“
Tirol verkaufe sich „viel zu billig“, ist auch Hotelière Irene Auer überzeugt. „Diese Preisschleuderei vor allem im Sommer muss aufhören.“ Allerdings seien die Gehälter nur ein Grund, um Menschen für die Arbeit im Tourismus zu begeistern. Schon lange setzt der Familienbetrieb auf flexible Arbeitszeitmodelle, es gebe keine Teildienste mehr, jede Überstunde würde bezahlt.
Und Auer glaubt, „dass wir im Tourismus auf die Vier-Tage-Woche zusteuern“. Das mache die Branche als Arbeitgeber attraktiver, weil Freizeit einen sehr hohen Stellenwert in der heutigen Gesellschaft habe. „Die Rückmeldung der Mitarbeiter müsse sein: Wir sind stolz, in dem Betrieb zu arbeiten.“ Das spüre der Gast und komme wieder.
Passend zu diesem Thema findet kommende Woche im Rahmen des Europ.Forum Alpbach ein Pressegespräch
„Vom Green Meeting zur Green Destination: Die Zukunft des Tourismus?
statt.
An diesem Pressegespräch werden teilnehmen:
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- Regina Preslmair, Bundesministerium für Klimaschutz (auch Moderation)
- Thomas Kahn, Prokurist Congress Centrum Alpbach
- Markus Bischofer, Bürgermeister Alpbach und KEM Alpbachtal
- Markus Kofler, Geschäftsführer TVB Alpbachtal
- Christine Margreiter, Gästehaus Leirerhäusl (neu zertifizierter UWZ-Betrieb)
- Werner Wutscher, Generalsekretär Europäisches Forum Alpbach
12.30 Uhr: An der Podiumsdiskussion im Rahmen der Veranstaltung werden FBM Leonore Gewessler und EFA-Präsident Andreas Treichl teilnehmen.
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Ein Skigebiet wie aus dem Märchenbuch – allerdings es fehlt einfach die notwendige Wertschöpfung