Heute in der Tiroler Tageszeitung: Wenn der Doktor nicht mehr klingelt
Seit rund drei Wochen hat die Wildschönau keinen niedergelassenen Arzt mehr. Die Bevölkerung muss auspendeln, Gemeinde und TGKK finanzieren Transportmöglichkeiten und hoffen auf ein Wahlarztmodell.
Von Wolfgang Otter
Wildschönau – Es wurde ausgeschrieben, diskutiert, eine Lösung angekündigt – aber Fazit ist, dass die Gemeinde Wildschönau seit rund drei Wochen keinen praktischen Arzt mehr hat. Innerhalb von kürzester Zeit verlor damit das Hochtal mit seinen rund 4200 Einwohnern zwei Mediziner. Für die Bewohner von Wildschönau heißt es daher ins Auto zu steigen und talauswärts nach Wörgl oder Kundl oder Hopfgarten zu fahren, oder zu improvisieren, wie die Wirtin Karin Moser aus Thierbach erzählt. „Uns bleibt nichts übrig, als woanders hinzufahren und dort zu betteln, dass man uns annimmt. Es ist eine schreckliche Situation. Notfalls müssen wir halt selber etwas aus der Apotheke holen und herumprobieren“, schildert Moser in drastischen Worten die Situation.
„Sollererwirtin“ Karin Moser: Eine schreckliche Situation
„Für die Wildschönau ist das eine Katastrophe“, meint auch der pensionierte Skischulleiter Stefan Margreiter. „Das hätte man sich bei uns nie vorstellen können, dass so etwas passiert. Polizei und Post haben wir auch keine mehr, aber das Schlimmste ist, dass wir keinen Doktor mehr haben“, sagt der Oberauer.
Stefan Margreiter: Eine Katastrophe
Das Pendlerleben der Patienten könnte jedoch noch länger anhalten. „Wir haben die Stelle in Niederau bereits zweimal, jene in Oberau bereits dreimal ausgeschrieben“, sagt Günter Atzl, Direktor der Tiroler Ärztekammer. Bislang ohne Erfolg. In ein bis zwei Wochen werden die Stellen neuerlich öffentlich angepriesen. Ob Chancen bestehen, dass sich doch noch jemand meldet? Darüber will man bei der Kammer keine Spekulationen vornehmen. Aber, es habe auch andere Gemeinden gegeben, in denen es schwierig gewesen sei, eine frei gewordene Stelle nachzubesetzen und es nach längerer Zeit doch noch gelungen sei, wie Atzl weiß.
Die Idee, mit dem pensionierten Sprengelarzt Richard Lanner die Lücke zu schließen, konnte noch nicht umgesetzt werden. „Da müssen noch gesetzliche Umstände abgeklärt werden“, meint Werner Salzburger, Obmann der Tiroler Gebietskrankenkasse. Gleichzeitig mit dem vergeblichen Warten auf einen Arztnachfolger steigt der Druck auf die Gemeindepolitiker aus der Bevölkerung. „Die bei den Kammern stehen ja nicht an der vordersten Front, die werden ja nicht jeden Tag gefragt: Hast du jetzt einen Arzt oder nicht?“, fasst BM Rainer Silberberger die Stimmung in seiner Gemeinde zusammen.
Auch die Touristiker zeigen sich wenig erfreut, wie TVB-Obmann Michael Unger weiß. Immerhin wird die Einwohneranzahl in Wildschönau während der Hochsaison durch die mehr als 8000 Gästebetten auf über 12.000 Einwohner anwachsen. Reiseveranstaltern dann zu erklären, dass für die Menschen kein Arzt verfügbar ist, sei für Unger nicht optimal.
Michael Unger: Reiseveranstalter zu erklären das kein Arzt da ist, sei nicht optimal
In einer informellen Sitzung des Gemeinderates wurden nun zumindest die Weichen für ein neues Modell gestellt. Der medizinische Ausnahmezustand könnte mit Wahlärzten überbrückt werden. Nachteil für die Wildschönauer: Sie müssten für die Behandlung in Vorlage treten, über eine Abgeltung der gesamten Kosten (an und für sich bleibt bei Wahlärzten ein Selbstbehalt gegenüber des von der TGKK übernommenen Betrags) wird noch verhandelt, sei aber angedacht.
Der Gemeinderat habe aber ganz generell „positive Signale“ für die Unterstützung jeglicher Lösung – ob Kassen- oder Wahlarzt – gegeben, wie Silberberger erzählt. Geklärt ist mittlerweile die medizinische Betreuung hinsichtlich der Totenbeschau und des Seniorenheims, wie der Ortschef erzählt. Und TGKK-Obmann Salzburger gibt sich weiterhin zuversichtlich, doch noch eine Lösung zustande zu bringen – sprich einen Arzt für die Wildschönau aufzutreiben.
Bis dahin können die Bewohner des Tals, die keinen eigenen Pkw haben oder nicht mehr fahrtüchtig sind, auf einen Gratistransport zurückgreifen, Gemeinde und TGKK finanzieren die Transporte, die die Patienten zu einem Arzt außerhalb des Tales bringen. Die Kosten dafür werden von beiden Seiten nur vage definiert, dürften aber ganz klar die 10.000-Euro-Marke pro Monat übersteigen.
Quelle: Tiroler Tageszeitung
Grundsätzlich hat ein Patient, der sich von einem Wahlarzt behandeln lässt, Anspruch auf Rückerstattung von 80 Prozent des Tarifs, den ein Arzt mit Kassenverträgen für dieselbe Leistung erhält. Voraussetzung ist, dass es sich um eine wissenschaftlich anerkannte Heilmethode handelt. Zahlreiche Ausnahmen führen jedoch dazu, dass der tatsächliche Rückerstattungstarif oft nur 20 oder 30 Prozent des Kassentarifs ausmacht.
Der oft verwendete Begriff „Wahlarzt aller Kassen“ drückt aus, dass der Patient das Recht auf Honorarrückerstattung bei jeder Krankenkasse hat. Manche Wahlärzte haben als Relikt aus der Vergangenheit Verträge mit einzelnen Krankenkassen (oftmals mit den „Kleinen Kassen“) und sind somit nur Wahlärzte für Patienten der Gebietskrankenkassen.
Kosten beim Wahlarzt
Wahlärzte bestimmen ihre Honorare frei, sie sind an keine Ober- oder Untergrenzen gebunden. Da die Honorare somit deutlich höher sind als die Vertragstarife der Krankenversicherungen, bleibt für den Versicherten ein nicht ganz unerheblicher finanzieller Eigenanteil.
Empfehlenswert ist für Patienten, sich zu informieren, für welchen Leistungen die Krankenkasse das Honorar rückerstattet und wie hoch der Tarif tatsächlich ist. Außerdem ist es ratsam, sich mit der Höhe des zu erwartenden Honorars auseinander zu setzen. Viele Wahlärzte informieren auf ihrer Website über ihr Honorarsystem.